Samstag, 29. September 2012

Diesel-Abgase sind krebserregend, Gefährdung drastisch nach oben korrigiert, auf eine Stufe mit Asbest, Arsen und Senfgas



Seit Juni 2012 ist es amtlich: Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft Dieselruß als Erreger von Lungenkrebs ein.
Artur Braun, Physiker an der Empa und Experte für Röntgenspektroskopie, hat maßgeblich dazu beigetragen, Struktur und Zusammensetzung von Rußpartikeln zu analysieren. Feinstaub ist gefährlich – diese Erkenntnis ist nicht neu. Doch was macht am Feinstaub die Gefahr aus? … Wohl ließ sich rußiger Feinstaub in Filtern einsammeln und die chemischen Bestandteile wurden analysiert. Doch die Frage blieb: Wo genau steckt die Gefahr? Sind es die Rußpartikel selbst, die Menschen krank machen? Oder sind es Giftstoffe, die der Ruß mit sich trägt – wie ein vollgesogener Schwamm?

Das norwegische Gesundheitsministerium ("Norwegian Institute of Public Health") wollte der Sache nachgehen und bat Artur Braun um Unterstützung. Vor seiner Zeit bei der Empa hatte der Forscher an der Universität von Kentucky gearbeitet und dort 2002 erstmals Rußpartikel mit Hilfe von weicher Röntgenstrahlung an einem Synchrotron analysiert. Ergebnis: Dieselpartikel, die unter hohem Druck und großer Hitze im Motor „geboren“ wurden, besitzen ein Gerüst aus Graphit – das ist im Röntgenlicht deutlich zu sehen. Bei Rußpartikeln aus Holzfeuern, die unter milden Atmosphärenbedingungen entstanden, fehlt dieses Graphit-Gerüst. Auch die chemischen funktionellen Gruppen unterschieden sich: Im Dieselruß fanden sich Carboxylgruppen, wie sie auch an Ameisensäure- und Essigsäuremolekülen vorkommen; im Holzrauch fand Braun Hydroxylgruppen wie an Methanol und Ethanol. Qualm ist also nicht gleich Qualm.

Die norwegischen Toxikologen gingen nun einen Schritt weiter und ließen die Rußpartikel mit Hilfe von Lösungsmitteln von den anhaftenden chemischen Giftstoffen bei Brauns Kollegen an der „University of North Dakota“ trennen. Dann analysierte Braun die Bestandteile einzeln im Röntgenlicht: erst die „nackten“ Rußpartikel, danach die Lösung mit den mutmaßlich Krebs erregenden Giftstoffen, die zuvor am Ruß gehaftet hatten. Wieder fand Braun verschiedene funktionelle Gruppen am Kohlenstoffgerüst und konnte sie mit den Befunden seiner früheren Forschungsarbeit vergleichen.
Zugleich testeten die Toxikologen, welche Wirkung die beiden Fraktionen der Rußpartikel auf menschliche Lungenzellkulturen haben. Erstmals wurde also getrennt untersucht, was am Ruß so gefährlich ist. Die Studie, die im Fachblatt „Toxicology Letters“ erschien, ist nach Meinung von Braun die erste, in der die Methode der Röntgenabsorptionsspektroskopie (NEXAFS) mit Methoden der toxikologischen Forschung kombiniert worden war.

Die WHO reagiert
Das Ergebnis der Studie fiel eindeutig aus: Die „nackten“ Rußpartikel lösten in Zellkulturen einen genetischen Entgiftungsmechanismus aus. Die Zellen waren also angegriffen worden. Aber auch die ausgewaschenen, vorher am Ruß haftenden Stoffe zeigten Wirkung: Sie verursachten Entzündungsreaktionen in den Zellen und agierten zudem als Zellgift. Zeitgleich reagierte die Weltgesundheitsorganisation WHO. Mehrere neue Studien – so auch die von Braun und seinen Kollegen aus Norwegen und den USA – hatten auf die Krebs erregende Wirkung von Ruß hingedeutet und die Mechanismen hinreichend erklärt.
Nun konnte nicht mehr, wie seit 1988, von wahrscheinlicher Krebsgefahr („probably carcinogenic to humans“) gesprochen werden. Die Neu-Einstufung folgte am 12. Juni 2012. Dieselruß gilt jetzt als erwiesenermaßen („based on sufficient evidence“) Lungenkrebs erregend; eine gewisse Wahrscheinlichkeit deutet außerdem darauf hin, dass Dieselruß ebenfalls das Risiko von Blasenkrebs erhöht. …

Literaturhinweise
       A. Braun, F.E. Huggins, A. Kubátová, S. Wirick, B.S. Mun, J.M.D. Mcdonald, M.M. Maricq, K.E. Kelly, N. Shah, G.P. Huffman, Towards distinguishing wood-smoke and diesel exhaust in ambient particulate matter, Environmental Science & Technology 2008, 42(2) 374-380 mehr
       A.I. Totlandsdal, J.-I. Herseth, A. Kocbach Bølling, A. Kubàtovà, A. Braun, R. E. Cochran, M Refsnes, J. Øvrevik, M. Låg, Differential effects of the particle core and organic extract of diesel exhaust particles, Toxicology Letters 2012, 208 (3), 262–268 mehr
Weiterführende Informationen:
Durch die Neubewertung des Gefährdungspotentials gehören Diesel-Abgase nun zu der gefährlichsten Gruppe von Karzinogenen und stehen auf der gleichen Gefährdungsstufe wie Asbest, Arsen und Senfgas.
Besonders alarmierend ist dies auch für den Schiffsverkehr:
Ein einzelnes Kreuzfahrtschiff stößt so viele Schwefeldioxide aus wie 37 Millionen Pkw, so viele Rußpartikel wie eine Million Pkw und so viele Stickoxide wie 420.000 Pkw - in den Katalogen der Kreuzfahrtschiffe werden die Abgas- und Rußfahnen der Schiffe allerdings aus Werbungszwecken einfach wegretuschiert. Der jährliche CO2-Ausstoß der weltweiten Handelsschifffahrt wiederum beträgt rund 1,12 Milliarden Tonnen (Stand 2008). Das entspricht einem Anteil von 4,5% der globalen Treibhausgas-Emissionen.
Weiterführende Informationen und Links finden Sie hier bei Agitano Wirtschaftsforum Mittelstand, auch den Hinweis auf ein n
eues Dieseladditiv aus den Niederlanden, das die Emissionen um 50% reduziert.
Quelle: EMPA | Dr. Artur Braun 2012. artur.braun@empa.ch

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