Samstag, 29. Februar 2020

Ecoismus statt Egoismus

Ecoismus statt Egoismus: Zur Nachhaltigkeit der kleinen Schritte

Der Zeitgeist der „Egoshooter-Gesellschaft“, in der jeder um seine eigene Umlaufbahn kreist, hat es vor einigen Jahren geschafft, in einem einzigen Werbeslogan unterzukommen: „Unterm Strich zähl ich!“ Unternehmen sind heute mit vielfältigen, komplexen Risiken und Herausforderungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, politischer und ökologischer Art konfrontiert. Vor diesem Hintergrund sind weniger charismatische Solisten an der Führungsspitze, sondern teamfähige Menschen gefragt, die gelassen, vorausschauend, flexibel und tatkräftig mit schwierigen Situationen umgehen können - aber auch mit sich im Reinen sind. Sie erkennen, dass das große Ganze und das große Kleine zusammengehören.

Vor allem Nischen-Akteure sind als mutige Vordenker und Vorreiter von grundlegender Bedeutung für gesellschaftliche Veränderungsprozesse, die anhaltende Handlungsbereitschaft erfordern.

In seinem Buch „Nachhaltig leben für alle“ erklärt der Öko-Pionier und Basic-Gründer Georg Schweisfurth, was jeder von uns tun kann, um nachhaltig zu handeln: „Wenn wir 20 Prozent, vielleicht eines Tages 50 Prozent unseres Lebens verändern, ist das gut. Wenn wir dabei froher sind als zuvor, ist die Übung gelungen.“ Die Ökos, zu denen er sich selbst zählt, werden leider häufig an 100 Prozent gemessen. Wenn er etwas Unökologisches tut, beispielsweise mit dem Auto statt mit der Bahn reist (was selten vorkommt) oder zuweilen etwas nicht biologisch Erzeugtes isst, wird er gleich „angegriffen“ - vor allem von Nicht-Ökos. Es ist nicht möglich, hundertprozentig ökologisch zu leben. Auch können wir unsere Lebensweise nicht von jetzt auf gleich in allen Bereichen umstellen, weil wir sind, wie wir sind. Kleine Schritte zu wählen ist deshalb besser, als alles auf einmal tun zu wollen.

Nachhaltigkeit macht langfristig nur dann Sinn, wenn sie auch gelebt wird.

„Wäre es nicht schön, wenn kommende Generationen nicht nur sagen: ‚Wir haben davon gelesen.‘ Sondern: ‚Wir haben es gelebt.‘“, fragt Dunja Burghardt, Autorin und Herausgeberin des Buches „Lebendige Wirtschaft“. Die Vielzahl der Labels und Hinweise auf Verpackungen und Werbeplakaten gehen leider häufig unter, denn die Menschen sind abgestumpft von der „grünen Welle“, sagt die Kommunikationsexpertin. Es sei an der Zeit, einen Schritt weiter zu gehen. Hinzukommen sollte Bewusstsein, „damit sich Nachhaltigkeit durch alle Ebenen des Menschseins zieht.“ Eine lebendige Wirtschaft ist für sie eine „Wirtschaft, die den Menschen und der Erde dient. Eine Wirtschaft, die alle bereichert und nicht die Ressourcen ausbeutet. Eine Wirtschaft, die angebunden ist an das Netz des Lebens und Verantwortung für kommende Generationen übernimmt.“

Auf der Suche nach dieser lebendigen Wirtschaft reiste sie mit ihrem Mann drei Jahre durch Europa, um mit Menschen zu sprechen und Antworten auf ihre Fragen zu erhalten. Eines wurde ihnen dabei bewusst: „Nur eine Wirtschaft, die das Leben fördert und auch die Menschen innerhalb der Unternehmen, Fabriken und Organisationen lebendig fühlen lässt, ist eine runde Sache.“ Mythen und Geschichten, Bilder und Musikstücke erzählen davon, dass Leben stets Vielfalt und Erneuerung bedeutet. Und dass der Mensch ein Teil der immerwährenden Kreisläufe ist, aus denen sich das Leben speist.

Nachhaltiges Wirtschaften braucht viele Akteure, vernetztes Denken und gemeinsames Handeln auf unterschiedlichen interdisziplinären Ebenen.

Mit der Initiative Sustainability Challenge zeigen beispielsweise Österreichs Universitäten, wie eine nachhaltige Zukunft gestaltet werden kann: Studierende der Universität Wien, der Technischen Universität Wien, der Universität für Bodenkultur und der Wirtschaftsuniversität haben die Möglichkeit, miteinander und mit Unternehmen an Projekten und Forschungen zu arbeiten, die wegweisend für eine nachhaltige Wirtschaftsweise sein können. Ein inhaltlich so umfassender Begriff wie Nachhaltigkeit bedarf der Inter- und Transdisziplinarität, weil nur eine Vernetzung der unterschiedlichen natur-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen „eine belastbare Basis für ein integriertes Verständnis von Nachhaltigkeitsproblemen bieten kann.“

Das ist auch der Anspruch dieses besonderen Projekts, bei dem die Schauspieler Anne Moll und Ulrich Gebauer aktuelle Ansätze der Nachhaltigkeit mit Mythen und Zitaten aus der Weltliteratur verbinden. „zukunft|leben“ www.zukunft-leben-nachhaltigkeit.org erzählt all dies als sinnlich erfahrbares Gesamtkunstwerk von Geschichten, Bildern und Klängen, die von unserem Planeten „komponiert“ wurden: Der akustische Feldforscher Chris Watson nahm sie mit Spezialmikrofonen vom Nordpol bis zur Kalahari Wüste auf. Die britische Produktionsfirma SonicCouture entwickelte daraus die Klangbibliothek „Geosonics“ – das akustische Vermächtnis der Erde. Der Toningenieur Björn Kempcke gestaltete daraus den „Soundtrack“ des Hörbuchs.

Im September 2014 startete das Projekt im Fachbereich Gestaltung unter Leitung der Dekanin Prof. Hanka Polkehn an der Hochschule Wismar, mit Medienproduzentin Corinna Hesse vom Silberfuchs-Verlag (Texte) und dem Lilienthal-Designpreisträger Richard Stickel (Grafik). „Die Balance zwischen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten sollte heute für jedes Unternehmen selbstverständlich sein“, sagen die Verlegerinnen des Silberfuchs-Verlages, Corinna Hesse und Antje Hinz. Die Verlegerinnen fühlen sich auch persönlich dem nachhaltigen Leben verpflichtet. Der Silberfuchs-Verlag will im Domizil in der Umgebung der UNESCO-Biosphären-Reservate Schaalsee und Elbtalaue Respekt vor der Natur, menschliche Kreativität und wirtschaftlichen Erfolg vereinbaren und sich damit harmonisch in die Region Mecklenburg-Vorpommerns einpassen. Alle Projekte präsentieren das Thema Nachhaltigkeit in seiner Lebendigkeit und Vielfalt. Sie zeigen, dass Gestaltungsmacht dort gedeiht, wo Solidarität und Begeisterung spürbar sind, wo positive Einflussnahme durch Gemeinsinn, Achtsamkeit und Gerechtigkeit wächst - als Ergebnis kleiner Handlungen. Das Thema Bewusstseinsbildung ist auch ein wichtiges Anliegen des Ökoversenders memo. Auf der Website und in den Katalogen geht es nicht nur um Produkte – es werden auch zahlreiche Tipps und Hintergrundinformationen zur Nachhaltigkeit der kleinen Schritte gegeben.

Auch das Projekt „Klimaretter – Lebensretter“ setzt sich für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz im Alltag ein: Es will unter anderem die große Zahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen nutzen, um sich gemeinsam für den Klimaschutz stark zu machen. Mehr als 60 Unternehmen haben sich zur Teilnahme verpflichtet.
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Über die Autorin:
Dr. Alexandra Hildebrandt
Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin,
für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie
Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Visionären von heute und den Gestaltern von morgen. Beim Verlag SpringerGabler gab ich 2018 das gleichnamige Managementbuch sowie die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement heraus.
Februar 2020 


Weiterführende Informationen:

Maik & Dunja Burghardt: Lebendige Wirtschaft. Auf der Suche nach Erfolg und Erfüllung. Beseelt von A bis Z. Perl-Mut Verlag, Frankfurt a.M. 2017.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Georg Schweisfurth, Christine Koller: NACHHALTIG LEBEN FÜR ALLE. Bewusster essen, kaufen, reisen, wohnen. Irisiana Verlag, München 2015.

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